21.10.2016
Text und Fotos: Monika Modersitzki

Ein tieferer Einblick in zwei unterschiedliche Kaftane

1465 wurde mit dem Bau des Topkapı Palastes in Istanbul begonnen. Bis 1856 sollte er Wohnsitz der osmanischen Sultane bleiben. Hier befand sich der Regierungssitz des Osmanischen Reiches.

Heute befinden sich in den Depots des Topkapı Sarayı Müzesi Gewänder mit unschätzbarem Wert. Eine einzigartige Sammlung von Kleidungsstücken aus vergangenen Jahrhunderten dokumentiert 500 Jahre osmanischer Kostümgeschichte.

Die Kleidung eines verstorbenen osmanischen Herrschers wurde etikettiert und in einem Tuch (bohça) eingeschlagen in der Schatzkammer aufgehoben. Bei der regelmäßigen Inspizierung, Reinigung und bei einem erforderlichen Austausch des Tuches sowie bei einer Erneuerung des Etiketts kam es wohl gelegentlich zu Verwechslungen. So schreibt es Deniz Erduman-Çalış in ihrem lesenswerten Buch „Tulpen, Kaftane und Levnî“ (2008).

Für die letzte Ausstellung der Gröbenzeller Quiltgruppe „Blick in den Orient“ waren insbesondere die prächtigen Sultanskaftane eine Inspirationsquelle. Ausgehend vom traditionellen Kaftanschnitt kamen die Künstlerinnen bei der Ausführung ihrer Kaftane zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen, was Farben, Material und Motive betraf.

Kleidung hat Signalwirkung, über Kleidung zementier(t)en sich Herrschaftsverhältnisse, Kleidung transportiert „Statements“ - verborgen für privilegierte Wissende oder offen für die Masse.

Star Motif-Kaftan

Für den Entwurf und die Ausführung des Star Motif-Kaftans dienten die Talismanhemden als Ideenvorlage.

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Talismanhemden waren einfache, meist aus Baumwoll- oder Leinenstoffen hergestellte „Unterhemden“. Man vermutet, dass sie unter dem Kettenpanzer getragen wurden. Die Hemden waren mit Koranversen, Gebeten und Zahlensystemen bestickt oder beschrieben. Diese waren in geometrischen Mustern angeordnet. Sie sollten dem Träger Schutz vor dem feindlichen Unheil geben.
Die vollflächige Ausschmückung der Talismanhemden mit Kalligraphien in symmetrischer Anordnung zeichnen diese Hemden aus. Geometrische Formen wie Quadrate oder Kartuschen nehmen dabei die Texte - Suren und Gebete - auf.

Schrift und Geometrie waren also vordergründig bei der Ausgestaltung meines Star Motif-Kaftans. „InsiderInnen“ mit Know How, entsprechendem Gerät und mit WLAN-Zugang sind eingeladen, mittels der „Qr Barcode Scanner“-App, den verborgenen Text zu „knacken“. Das Ergebnis ist erstaunlich, finden sich doch hier türkisch-osmanische Worte:

Die einzelnen Wörter sind denn auch sinngebend für ein Gedicht mit der klaren Botschaft, den Frieden zu respektieren und zu wahren.

Star Motif-Kaftan: Ein Stern sollte auch für den europäischen Betrachter ohne besondere Sprachkenntnisse erkennbar sein. Doch auf der Außenseite des Kaftans befindet sich keiner; wieso dann: Star Motif –Kaftan? Betrachtet man die momentane Situation in der Welt, fragt man sich, ob die Menschen jemals friedvoll miteinander leben werden können oder ob der Friede „für immer in den Sternen steht“. Genauer hingeschaut aber lässt sich an der Innenseite des Kaftans ein kleines weißes Emblem ausmachen: ein achtzackiger Stern - wenigstens ein kleiner Hoffnungsschimmer?

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Kapaniçe

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Mit der Machart des Kaftans unter Verwendung von Polyester-Goldstoffen und Goldfaden soll die Exklusivität und gleichzeitig die Brüchigkeit des Seidengewebes Seraser dargestellt werden.

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Seraser ist ein aus Gold- und Silberfäden gewebter Seidenstoff, dessen Oberfläche schillernd wirkt. Dieser Seidenstoff galt als einer der kostbarsten Stoffarten, die im Osmanischen Reich hergestellt wurden.

Der schwere Seidenstoff diente den osmanischen Sultanen hauptsächlich zur Repräsentation. Die Herstellung von Seraser-Geweben unterlag einer strengen staatlichen Kontrolle.

Bei der Herstellung wurde ein Lahnfaden um einen Seelenfaden gewickelt. Man verwendete hauchdünne Fäden aus vergoldetem Silber oder Silber für die Lahnfäden und gelbe oder weiß-graue Seelenfäden aus Seide.

Der Kapaniçe wurde nicht nur aus prächtigem Seraser-Stoff gewebt, dieser Kaftan wurde auch mit kostbaren Knöpfen aus Edelstein besetzt und mit Pelz verbrämt. In der Sammlung des Topkapı Sarayı in Istanbul befinden sich nur wenige Kleidungsstücke aus Seraser-Geweben. Diese sind beschädigt, denn mit der Zeit korrodieren die Lahnfäden und brechen, sie lösen sich von den Seelenfäden. (Deniz Erduman-Çalış)

Langsam wird auch mein Kapaniçe-Kaftan das „Zeitliche segnen“ - so war der Plan. Was die Schönheit, die Exzellenz und die Außergewöhnlichkeit der Kaftane der Gröbenzeller Quiltgruppe angeht, bestehen keine Zweifel über deren Wert. Ob man sie bei einer möglichen anstehenden Restaurierung in ca. 500 Jahren allerdings auffinden wird, ist noch die Frage. Wenn ja - wir legen unbedingt Wert darauf, dass sie auch dann noch mit den richtigen Etiketten vorgeführt werden.