Text und Fotos: Monika Modersitzki
vom 16.September - 17. Dezember 2020
Wir erinnern uns zu gerne an das Jahr 2019, in dem unsere 11. Ausstellung #erzählt #gefärbt #genäht, Märchen – Erinnerungen in Gröbenzell stattfand. Monatliche Gruppentreffen, Workshops, Ausstellungen und Reisen waren noch selbstverständlich.
Im Rahmen dieser Ausstellung hatten mich insbesondere die kanadischen Rot-Kreuz-Quilts begeistert. Wir hatten sie in der Gruppe zusammengetragen, mit Tunnel versehen und präsentiert. Ich hatte einige Artikel über das Auffinden der Quilts geschrieben. Eine unveröffentlichte Dokumentations- und Forschungsarbeit von Chrilla Wendt wartete darauf einem interessierten Publikum präsentiert zu werden. Das hatte ich mit der Veröffentlichung der Broschüre Notzeit-Quilts: Work in Progress (2020) übernommen. Ich beschäftige mich seit der Ausstellung mit der Geschichte der sogenannten Notzeit-Quilts, also Quilts, die als Spenden für Bedürftige in den 1940er Jahren von Nordamerika nach Europa geschickt wurden.
Auf den Namen Lynn Kaplanian- Buller war ich schon bei der Durchsicht der Unterlagen von Chrilla Wendt gestoßen. Esther Miller, die ich 2019 für meine Broschüre interviewte, machte mich auf das Buch von An Keuning-Tichelaar und Lynn Kaplanian-Buller (2005) Passing on the Comfort - The War,The Quilts,and the Women Who Made a Difference aufmerksam. Natürlich interessierte mich die Geschichte der US-amerikanischen Quilts, die über das MCC– das mennonitische Zentralkomitee – in den 1940er-Jahren als Spende für Flüchtlinge in die Niederlande geschickt worden waren. Nach dem Lesen des Buches wollte ich die Quilts nun gerne in natura sehen. Ich kontaktierte Lynn Kaplanian-Buller und erzählte ihr die Geschichte der kanadischen Rot-Kreuz-Quilts. Sie fragte mich nach meinem größten Wunsch für die Quilts und meine Antwort war: Es wäre doch schön, die kanadischen Rot-Kreuz-Quilts und die mennonitischen Quilts mit ihrer ganz ähnlichen Geschichte zusammen auszustellen.
Zu sehen sind diese Quilts in der Ausstellung Textile Tales from the Second World War.
Über Lynn Kaplanian-Buller kam 2020 der Kontakt zu Dr. Gillian Vogelsang-Eastwood, Direktorin des TRC, zustande. Sie plane eine Ausstellung über Textilien aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges in den Niederlanden. Sie würde gerne die mennonitischen und kanadischen Rot-Kreuz-Quilts zeigen. Es folgten einige E-Mails mit beruhigendem Zuspruch, aus denen hervorging, dass alle Beteiligten entsprechend der Corona-Krise flexibel auf die Situation reagieren würden. Alles wurde vorbereitet für die reale Ausstellung, gleichzeitig gab es einen Plan B: die digitale Variante. Tatsächlich sollte es aber losgehen. Mit sieben kanadischen Rot-Kreuz-Quilts im Koffer kam ich am 9. September 2020 nach ca. 9 Stunden Zugfahrt in Leiden Centraal an. Lynn Kaplanian-Buller holte mich am Bahnhof ab. Wir brachten die Quilts in die Unterkunft. Dann lud sie mich zum Abendessen in ein Restaurant am Kanal ein.
Die nächsten beiden Tage sind für das Hängen der Quilts reserviert. Lynn Kaplanian-Buller bringt mich mit den Quilts zum TRC. Trotz Einhaltung der Abstandsregeln ist der Empfang herzlich. Zuerst bekommen wir eine persönliche Führung und Erläuterung zum Konzept der Ausstellung. Viele der Textilien und Objekte stammen aus den Beständen des TRC. Dr. Gillian Vogelsang-Eastwood lässt es sich daher nicht nehmen, uns zuerst mit den Geschichten der Uniformen, Kleidungsstücke, Schmuckstücke und Dokumente aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges zu überraschen. Als geschichtliche Quellen reflektieren die ausgestellten Objekte den Alltag der Niederländer unter der deutschen Besatzung in den Jahren 1940-1945. Interessant sei, welche der aus den unterschiedlichen Regionen der Niederlande stammenden Volkstrachten sich von den Nationalsozialisten bestens in ihre Rassentheorie eingliedern lassen konnten. Zum Symbol des Widerstandes gegen das Naziregime sei die Margerite ernannt worden. Als Accessoire in Form von Ansteckern und selbstgemachtem Schuck sei sie von vielen Niederländern getragen worden. Als 1943 die Tochter von Prinzessin Juliana und Prinz Bernhard geboren wurde, habe sie den Namen Margriet erhalten. Mit der Verknappung von Textilien habe sich auch die Mode verändert. Schmückendes Beiwerk wie Biesen oder Taschen, die einen erhöhten Stoffverbrauch bedeuteten, seien verschwunden, denn es habe strikte Regeln bei der Herstellung von Bekleidung gegeben, erklärt uns Dr. Gillian Vogelsang-Eastwood und zeigt uns die Schaufensterpuppen mit Kleidungsstücken aus den 1940er-Jahren. Wir gehen weiter zu einem ausgestellten schwarzem Anzug: Die Menschen seien erfinderisch geworden. Man habe sich Kleidung geteilt. Wie das funktionierte, zeige die Geschichte dreier Männer, die zusammen einen Anzug besaßen: der eine hatte die Jacke, der andere die Hose und der dritte besaß die dazugehörige Weste. Unter Freunden habe man dann bei Bedarf alles zusammenfügen können. Wir gehen weiter zur Vitrine mit kleinen Alltagsobjekten, darunter auch Streichhölzer: Ob wir wüssten, dass viele Menschen im Knopfloch ein Streichholz trugen und zwar mit orange gelben Kopf nach oben als geheimes Zeichen des Widerstands und Symbol des Patriotismus? Nicht alle Geschichten seien amüsant, so Dr. Gillian Vogelsang-Eastwood, bewegt habe sie die Geschichte, die hinter dem Taschentuch mit den eingestickten Namen verbunden sei: Nach der Befreiung seien mehr als 100.000 Kollaborateure in Internierungslager gesperrt worden. Aus einem solchen Frauen-Lager stamme das Taschentuch, auf dem die Frauen ihre Namen und den Tag ihrer Ankunft gestickt hätten. Wir stehen vor den Schneiderbüsten mit Kleidern aus Fallschirmstoffen. Hier endet unsere Führung in Stille. Nicht nur lustige Geschichten sind es eben, die mit den Objekten verbunden sind, sondern auch traurige, tief bewegende.
Dieser Teil der Ausstellung ist also schon aufgebaut. Nun sollen die Quilts hinzukommen. Gut, dass die Tunnel noch von unserer Ausstellung in Gröbenzell angenäht sind. Das Hängen an die Wand geht recht schnell, zumal mir dazu zwei sehr nette Damen an die Seite gestellt werden. Schwieriger ist es mit dem Drapieren der Quilts auf dem Holzgestell. Diese Arbeit werden wir erst am nächsten Tag beenden. Denn dann kommen auch die mennonitischen Quilts.
Natürlich war es nicht leicht, als Deutsche einen Teil dieser Ausstellung mitzugestalten. Fragen, die ich mir selbst schon gestellt hatte und mir heute leider wieder stellen muss, konnten nicht beantwortet werden. Es gab viele bewegende Momente. Aber vor allem habe ich die verbindende Kraft von Quilts gespürt. Nach 75 Jahren bringen die „Notzeit-Quilts“ aus der Kriegszeit immer noch Menschen zusammen: Menschen ganz unterschiedlichen Alters, unterschiedlichen Geschlechts und Menschen unterschiedlicher Nationen, in diesem Fall Menschen, die eine Ausstellung zum Zweiten Weltkrieg organisieren. Wir waren erstaunt, wie viele Gemeinsamkeiten unsere Familien- und Lebensgeschichten aufweisen.
Auch über die Ausstellung hinaus bleibt mir das Textile Research Centre in Leiden in guter Erinnerung: Es ist ein toller Ort für Textilbegeisterte. 30.000 Objekte in der Sammlung des TRC, die für wissenschaftliche ForscherInnen genauso wie für interessierte Laien frei zugänglich sind.
Die geschichtlichen Hintergründe zur Ausstellung kann man auch digital erfahren.
Die ganz persönlichen Geschichten hinter den Ausstellungsobjekten findet man auf dem Blog des TRC.
Und zum Schluss noch ein paar Eindrücke von Leiden: